Kunstraum Nestroyhof

Eröffnungsrede BILDBILDER von Patricia Grzonka

am 28. September 2016


Eine Ausstellung, die man nicht teilen kann

Kein Facebooktwitterinstagramdings, sondern etwas anderes: Etwas, das sich einer slicken Social-Media-Verwertbarkeit widersetzt. – Eine These.

Nita Tandon und Daniel Wisser arbeiten beide mit analogen Medien, aber nicht nur. Sie reflektieren über das Verhältnis von Vorlage – sei sie digitaler oder analoger Natur – und deren Wiedergabeprozess, indem sie eine Unmittelbarkeit der Darstellung suchen, die oft die Erwartungshaltung und die Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Kunstkonsumenten oder der Kunstkonsumentin übersteigt. Es ist also ein Aufmerksamkeitsokönomiedings, um das es hier geht, auch wenn dies nicht explizit in den Werken beider Künstler ausgedrückt ist. Es geht darum, uns mit einem Zeitbegriff zu konfrontieren, der uns abhanden gekommen ist, weil er uns im Grunde strapaziert. Zeit für die Wahrnehmung eines Bildes und Zeit, um aufmerksam einer Stimme zuzuhören, die eine Stunde ununterbrochen spricht. Und dieses „Aufmerksamkeitsökonomiedings“, wie ich es nenne, ist eine aktuelle Forderung – und dies, obschon der Begriff „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, der von Georg Franck stammt, bereits vor der Zeit der ersten Facebook-Programme entstanden ist.

Aber zunächst geht es bei dieser Ausstellung um die materielle Ebene. Auch hier wird reflektiert:

Nita Tandons neue Arbeiten im unteren Raum der Galerie haben ihren Ursprung in der Fotografie, sind aber durch eine Art digitalisierten Fleischwolf gedreht, wo sie sich mit Malerei angereichert haben, um schließlich als „Flat Sculptures“, wie es Tandon nennt – flache Skulpturen –, an der Wand zu hängen. Warum flache Skulpturen? Wie man erst auf den zweiten Blick erkennen kann – und das meine ich auch mit Aufmerksamkeitsspanne –, bestehen die Farbfelder auf diesen drei Tafeln aus kleinen Plastilinkugeln, die auf eine Glasplatte aufgedrückt wurden und so eine Art 3D-Pixelbild ergeben. Es sind also Bildobjekte – und damit Skulpturen.

Diese Bildobjekte basieren je auf unterschiedlichen Farbsystemen: auf zwei industriellen Farbtabellen mit fixen Farbwerten – CMYK und RGB – und einem „persönlichen Augenmaß“ Tandons, wobei jenes Bild, das am ehesten den natürlichen Farben der Vorlage entspricht, dasjenige von Tandon nach Augenmaß genommene ist. Der Titel der drei Arbeiten ist „Standardwerk“. Die Künstlerin testet hier unsere Wahrnehmung und unsere Urteilsfähigkeit, sie fragt ganz banal: Was ist ein Bild? Das klingt nach einer ironischen Infragestellung von Normierungen. Sie sagt: Die Normen sind gar keine solchen, wenn es unzählige Normierungssysteme gibt.

Die Arbeiten sind, wenn man so will, eminent auf sich selbst rekurrierend: Methodische Malerei nennt das Tandon. Aber dahinter steht noch etwas anderes: Der Widerspruch zwischen dem Dargestellten und unserer Wahrnehmung davon. Ein gewisses Misstrauen jedem mimetischen Abbild gegenüber führt die Künstlerin dazu, die Bildgenerierungsprozesse zu splitten – in diesem Fall die Bearbeitung einer fotografischen Vorlage und ihre Umrechnung in digitale Farbwerte am Computer – und in einem aufwändigen Verfahren wiederum in analoge Handlungsabläufe rückzuübersetzen. Wenn man ihr und ihrer Crew im Vorfeld der Ausstellung beim Vorbereiten der einzelnen Pixel und beim Abwiegen der Plastilinmasse auf Mikrogramme genau zugesehen hat, so konnte man den Eindruck gewinnen, dass hier eine absurde kafkaeske Messübung durchgeführt wurde. Und tatsächlich entsprechen die Resultate dieses Verfahrens auch insofern nicht den Erwartungen, da der Ausgang dieser Übung nicht vorherzusehen war.

Was mir an diesen neuen Arbeiten gefällt, ist genau dieser Widerspruch zwischen kalkuliertem Rechenprozess der Maschine und dem Eingriff der Künstlerin, der in einer Art Überaffirmation dem Medium gegenüber sich letztlich gegen die Maschine selbst wendet. Wir kennen alle Hermann Melvilles Bartleby und dessen wiederholte Formel „I would prefer not to“. Die Überaffirmation setzt letztlich zersetzende Kräfte frei. 

Wenn hier die Medien so buchstäblich durch den „Fleischwolf“ gedreht werden – denn das Motiv auf diesen „Bildern“ ist ein Fleischwolf, dieses altertümliche Metzgerwerkzeug, mit dem man alles Verwursten kann –, so verfolgt Daniel Wisser einen scheinbar völlig anderen Ansatz, einen radikal reduzierenden, um „sein“ Medium Text zu vermitteln. Aber genau die Frage nach der Transformierbarkeit von Medien ist schließlich auch das Verbindende in diesen zwei Ansätzen.

Der Schriftsteller Daniel Wisser führt in einer Blackbox im Obergeschoss täglich einmal live Audio-Performances auf, bei denen er eigene Texte frei vorträgt. Er ist Rezitator und Autor in einem, in einer Art von prekärer Doppelrolle, wobei seine Stimme Vermittlerin seiner eigenen Texte ist – von 14 Kurztexten, die aus einem größeren Set von Prosastücken stammen, die eigens für diesen Anlass und Ort geschrieben wurden. Sie werden mündlich vorgetragen und loopartig wiederholt. Die Live-Darbietung gestattet es dem Autor, feine Nuancierungen einzustreuen und die Stücke subtil zu verändern, so dass sie mit einem Benefit ausgestattet werden, den nur der Produzent leisten kann. Wisser spielt hier also auch mit der Idee der technischen Reproduzierbarkeit eines Mediums, bzw. weist er auf diese hin, indem er sie konsequent verweigert: So konterkariert auch diese Performance die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörerin: Das Audio-Erlebnis erscheint als eminent analoge körperliche Erfahrung und stillt unsere „Präsenzsehnsüchte“, wie es der Germanist Jörg Gumbrecht ausdrückt.

Aber dabei geht es natürlich auch um die Vermittlung eines Inhaltes.

Wie gesagt sind die Texte neu und sie sind eigens für diesen Ort entstanden – sind also site-spezifisch, um es mit einem Begriff aus der bildenden Kunst auszudrücken. Kurze Prosastücke, in denen Begebenheiten aus einer vergangenen Zeit geschildert werden: zum Teil montiert aus historischen Zeitungsmeldungen über merkwürdige Vorkommnisse, die schrullig oder nur banal sind. Sequenzen um Menschen, die meistens einen Namen besitzen, aber sonst recht eigenschaftslos bleiben. Die Erzählungen beginnen in langen Schachtelsätzen, ändern aber unvermittelt ihren Lauf, indem der Autor den Blick gezielt auf Nebensächliches richtet, wie wenn er von einer Haupthandlung ablenken wollte. Manche dieser Stücke handeln von der Geschichte dieses Hauses, von dessen jüdischem Architekten Marmorek etwa oder von der früheren Nutzung des heutigen Kunstraumes als Filmvorführungsstätte, und evozieren so die Vergangenheit dieser Stadt Wien, aber auch diejenige eines nicht mehr existierenden kakanischen Österreichs, in der die großen politischen Geschichtsläufe in kleinen Episoden verdichtet und manchmal erschreckend dramatisch werden.

Und in gewisser Weise geht es auch hier um Bilder: Bilder durch den Filter der Geschichte. Bilder des Alltäglichen, des Absurden, Abseitigen, die schnell einmal auftauchen, die aber oft unserer Aufmerksamkeit entgehen. Wisser bleibt im Lokalkolorit der Sprache und entwirft vor dem Hintergrund schicksalhafter Epochenläufe eine „Chronik der kleinen Ereignisse“. Ganz im Sinne jener französischen Historikerschule um Fernand Braudel, die „Das Mittelmeer“ als gesamtkulturelles Phänomen ins Zentrum ihrer Studien stellte – und es nicht als eine Abfolge nationalstaatlicher Herrschaftsgeschichte verstand.

Und sonst? Auf der Erdgeschoßebene finden wir weitere, frühere Arbeiten Nita Tandons, die in einem strukturellen Zusammenhang zu den neuen „Standardwerken“ stehen: einen Kubus mit zwei eingelassenen Stofftüren, die nicht zu öffnen sind (Within and Without, 2002), sowie an der hinteren Wand abstrakt wirkende Reliefs, bei denen es sich um naturfarbene Zementabgüsse eines sehr banalen Gegenstandes handelt, den man kaum je genauer in Augenschein nimmt: Automatten. Tandon nennt diese Abgüsse doppeldeutig: Automats. Es sind Gegenstände, die ihrer Alltagsfunktion enthoben und durch diesen Akt zu Kunst nobilitiert wurden, Ready-mades in gewissem Sinne, aber durch einen Verfremdungsprozess transformierte. „Das Triviale poetisch machen“ nannte dies Daniel Wisser in einem Text zu Tandons Arbeiten. Auch hier braucht man wertvolle Verweildauer, um sich den feinen Assoziationen und Bedeutungsverschiebungen zu widmen, man braucht – Aufmerksamkeit.