Kunstraum Nestroyhof

Eröffnungsrede EVA HRADIL beziehungsweise von Maria Bußmann

am 9. November 2016

Ich begrüße Sie alle nochmals herzlich!

Meine Aufgabe ist es, eine launige und kurze Rede zu halten! Also launig, wie gute Laune.
Ich hatte einen Vorteil:  Ich konnte bereits vor drei Tagen einen Blick in den neuen Katalog zu dieser Ausstellung werfen. Er ist sehr sehr schön geworden! Einer der Autoren, Paul Zwietnig Rotterdam, hat einen tagebuchartigen Text verfasst. Da ist gleich im ersten Satz die Rede von einem Aufstieg auf einen Berg und,  auf welchen Höhen Eva Hradil wandert.
Diesen Vergleich möchte ich gleich aufnehmen, denn er hat mich an ein vor kurzem wieder gelesenes Büchlein erinnert.  Ich las einen Text, den sie vermutlich alle noch aus der Schule kennen: die berühmte Beschreibung der Besteigung des Mont Ventoux von Petrarca. Diese fand im Jahr 1336 statt und gilt allgemein als – ich zitiere Karlheinz Stierle – als ein Zeugnis einer Epochenschwelle in der Geschichte der ästhetischen Erfahrung“, als eine Art Tor zur neuen Auffassung von der Welt in der Renaissance. Petrarca, Priester und Poet, war bei dieser Besteigung selbst 32 Jahre alt, er nahm seinen jüngeren Bruder und zwei Diener als Träger mit. Die Gruppe geht los, man muss viele Strapazen auf sich nehmen. Petrarca gibt uns auch gleich zwei treffliche Ratschläge aus seinem literarischen Gepäck mit, die für einen erfolgreichen Aufstieg unabdingbar sind: Rastlose Mühe besiegt alles, Vergil, Georgica

und

Wollen, das ist zu wenig, Begehren erst führt dich zum Ziele.
Ovid (aus einen Brief)

Auch Eva Hradil bewegt sich in spannenden Landschaften, Ich denke da z. B. an ihre Männerlandschaften.
Aber zurück zu Petrarch. Die Besteigung ist hart und Petrarca geht mehrmals in die Irre, weil er auf halber Höhe leichtere Umgehungen sucht. Sein Bruder dagegen stürmt einfach bergauf und ist auch als Erster oben. Die Irrwege zwingen Petrarca zwar zum Umkehren, doch geben sie ihm auch Zeit zum Meditieren und Überlegen. Die Mühe wird schließlich belohnt, denn oben angekommen eröffnet sich ein wunderbarer Rundblick, nach allen Seiten hin.
Schön ist es da oben! Einsame Höhe! Dünne Luft! Und diese herrliche Aussicht!
Ins Flachland zurückgekehrt wird der Ausflug sogleich in Briefform an einen Freund beschrieben.

Aber ich muss Sie enttäuschen: Diese Geschichte ist, wie die jüngste Forschung nahelegt, wohl eher erst 10 Jahre später geschrieben worden, und vielleicht hat Petrarca die Reise nie selber gemacht und war gar nicht selber oben?!
Und überhaupt gehört die Geschichte eher zum Fundus abendländischer Mythen. Die amerikanische Biologin und Feministin Donna Haraway sagt: Geschichte als historische Praxis (sie meint auch Kultur- und Wissenschaftsgeschichte) ist eine Erzählung, die sich die Fans westlicher Kultur gegenseitig erzählen, Wissenschaft ist ein anfechtbarer Text und ein Machtfeld, der Inhalt ist die Form. Basta.“
Aber – die Dekonstruktion ist mittlerweile selbst ein Teil des Narrativs geworden!
Wir dürfen und sollen uns als Fans der westlichen Kultur- und Geistesgeschichte“ outen.
Wir sind jedenfalls heute an diesem Platz als Fans der Kunst zusammen gekommen, einer Kunst, die ihre Herkunft und den Zusammenhang mit der vorausgegangenen Kunst nicht verleugnet – sichtbar und bewusst hergestellt in Sujets wie Stillleben, Porträts, Landschaften oder Textbildern.

Also zurück auf den Berg! 

Und mischen wir doch die Ansätze: Eva zeigt uns den Aufstieg, und wir sind ihre Fans. Die Plattform mit der schönen Aussicht nach (fast) allen Seiten haben Sie hier im Nestroyhof vor sich. Auch sie ist ein Hochplateau, das ist jedenfalls der Auftrag!

Es ist der Serendipity-Idee und dem Sponsor zu verdanken, dass es dieses Plateau gibt.

Aber gehen wir nochmals zurück zu Eva Hradils Arbeit als Künstlerin.
Der Inhalt ist nicht gleich die Form. Oder vielleicht doch, wenn man sich Ihre Objekte aus Kleidungsstücken ansieht!
Die Inhalte auf Eva Hradils Bildern sind so gut wie alle mit der sie umgebenden Welt verknüpft, sogar mit uns selber, sofern wir ihr Modell gesessen sind. Die Form sucht sie sich dann dazu, experimentierfreudig und neugierig.
Ich kenne Eva Hradil schon lange und weiß, dass sie selbst bei der größten Steigung nicht den Humor, ihre herrliche Selbstironie und ihre Schlagfertigkeit verliert. Da könnte man jetzt einige Geschichten erzählen, z. B. die, die sie mir vor kurzem verriet: Als sie in der Akademie im Aufzug von jüngeren Studentinnen gesiezt wurde, da wusste ich, Eva, es ist Zeit, dass du mit dem Studium fertig wirst“.
Es gibt neben den beiden Tugenden, die vorhin von Petrarca erwähnt wurden – rastlose Mühe und Begehren, das über ein Wollen hinausgeht –, eine weitere, die uns nach oben treibt und die mir besonders auf Eva Hradil zu passen scheint. Es ist der einfache Satz (ich weiß leider nicht, von wem er ist): Begabung ist Sehnsucht.

Wer Evas Biografie kennt, weiß, dass sie die Malerei zwar in die Gene, aber nicht in die Wiege gelegt bekommen hat.  
Ihr Weg von der Arbeit in der Bank in Orth an der Donau zur Akademie ist beispielhaft und zeugt von langem Atem und Wanderlust. Ab einem bestimmten Punkt geht es nämlich nicht mehr darum, ob ich in meinen Talenten gefördert werde, ob ich die idealen Vorraussetzungen für dies oder jenes vorfinde, ob ich erst in der Pension meinem Hobby, der Malerei fröne etc. – denn ähnlich wie beim Kinderkriegen, die Umstände passen fast nie. Ab einem bestimmten Punkt wird die Sehnsucht zu groß und muss sich einen Weg zur Tat bahnen.
Wo Eva Hradil keinen Steg gesehen hat über den Bach oder einen Abgrund, hat sie sich selber einen gebaut. 

Eva Hradil malt (sich) Männer“ heißt eine wunderbare Serie, weitergeführt in den schon erwähnten „Männerlandschaften“.
Eva Hradil wartet nicht auf Stipendien und Symposiums-Einladungen, sie lädt sich selber Leute ein.  Eva lockt Fremde und Kollegen in die Idylle nach Orth oder sonstwo aufs Land. Eva lädt ein in die Scheunen zum Flächen-Bewirtschaften, Mal-Flächen (!), versteht sich.
Auch ich habe schon mehrmals von Evas Unternehmungen und Einladungen profitiert, ich kann nur sagen, darin ist sie ganz einzigartig. Mit unerschütterlicher Energie nimmt Eva Hradil die Dinge und die Pinsel selbst in die Hand.

Der Aufstieg ist geglückt.

Ich bin damit am Ende meine kurzen Rede. 

Möge es viele Ausstellungen für Eva Hradil auf solchen Gipfeln geben! Und möge dieser Ausstellungsraum ein Hochplateau mit Aussicht bleiben! 

Herzlichen Dank.